Musikwissenschaftlicher Forschungsschwerpunkt

Inversionen & Palindrome der Musik.

 

Im Fokus meiner musikanalytischen Untersuchungen stehen invertierte Strukturen. Mich faszinieren temporale Umkehrungen und deren Herausforderungen auf intellektuell emotionaler Ebene anhand musikpsychologischer und ästhetischer Implikationen. Wie verhandelt Musik Zeit in ihrem Dimensionsnetz aus Rhythmik, Melodik, Harmonik, harmonischem Rhythmus, Dynamik und anderen Parametern? Gängige Begriffe zur Beschreibung invertierter Strukturen, Fragen der Symmetrie und Asymmetrie und Überlegungen zu einer Auswahl an umkehrbaren klassischen Satzmodellen werden untersucht, bevor Denkströmungen der Musikgeschichte von Hugo Riemann, 2. Wiener Schule, der Seriellen Schule, ggf. dem Schilliger-System und aktuell in der Musikwissenschau viel diskutierten NRT (Neo-Riemannian theory) als auch im Jazz-Arrangement um Jacob Collier oft verwendeten Begrifflichkeit einer Negative Harmony besprochen werden.


Einen gewichtigen Teil nehmen anschließend analytische Fallstudien von Guillaume de Machauts Rondeau über Bachs Spiegelfugen aus der Kunst der Fuge, freitonale Palindrome bei Berg oder der Dodekaphonie bei Webern ein, weiterführend auch die ausgleichende Balance parametrischer Polaritäten im Spätwerk Beethovens bis hin zur Filmmusik-Score von TENET, die parallel zur visuellen Ebene auditive Inversionen analog strukturiert. Mein eigenes Werk Novum Eleison, von der GEMA 2021 mit einem Kompositionsstipendium bedacht, fasst viele Strategien zusammen, was zur Abschlussreflexion überzuleitet, welche psychologischen Effekte sich für die Wahrnehmung aus diesen Untersuchungen ableiten lassen.

 

Das Spätwerk Beethovens

Das von mir seit 2 Jahren angebotene Seminar Beethoven – der temporale Modulator, das an der Universität Potsdam 2 Semester Tonsatz 2 abdeckt, leitet die Studenten zu Stilkopien an und öffnet darüber hinaus den Horizont für den musikgeschichtlichen Weitblick in Beethovens Spätwerk. Immer wieder faszinierend ist für die Teilnehmer die innovative Denkart und Konzeptionskunst, die die Gegensätzlichkeit verschiedener parametrischer Polaritäten konsequent herausarbeitet und zugleich eine übergeordnete Balance zwischen ihnen herstellt. Beispielsweise lässt sich am Herzstück des Streichquartetts Nr. 15, dem „Dankgesang an die Gottheit in der Lydischen Tonart“ sehr plastisch die Kunst veranschaulichen, wie das musikästhetische Pendel zwischen den Polaritäten auf den Ebenen von Rhythmik, Melodik, Harmonik, Dynamik, harmonischem Rhythmus und der Taktstruktur/ Form organisch hin und her schwingt. Gleiches gilt für Beethovens poetische Fugentechnik wie z.B. in Fuge und anfänglichen Spiegelfuge im Schlusssatz der Klaviersonate Nr. 31, Op. 110 (As-Dur). Spekulationen der Beethovenforschung bezüglich der Liebesbeziehung zu Josephine von Brunsvik und deren indirekter Niederschlag in seinem Werk bringen den Studenten den Mensch Ludwig van Beethoven sehr nahe.

 

Strukturelle Reflexionen eigener Komposionen

 

In meiner Diplomarbeit Ungleiche Gleichzeitigkeiten (2002) stellte ich anhand meines Werkes KEINE ZEIT die Dichotomie des Titels in seinen verschiedenen Zeit- und parametrischen Verläufen dar. Hierin sehe ich rückblickend meine frühe Affinität zu polaren Strukturen, die einander bedingen und ausgleichen. Diese musikästhetische Grundempfindung fand ich u.a. im Spätwerk Beethovens oft wieder und möchte sie in meiner geplanten Promotion in ihrer phänomenologischen Dimensionen noch genauer herausarbeiten. Hierfür ist die Perspekivität des Komponisten dem musikwissenschaftlich „sauberen“ Arbeiten durchaus nützlich und muss zugleich methodisch gut abgegrenzt werden.